
TEXT Andrea Guthaus FOTOS Philipp Reiss
STADTGESPRÄCH
Vom Volkslied bis zum Schlager: mitsingen bei Arne
Menschen treffen, zusammen singen, bei Kaffee und Kuchen schwatzen: Der Mitsingnachmittag „Geh aus mein Herz und suche Freud“ im Bürgerhaus Wilhelmsburg bringt Menschen zusammen. Alle sind willkommen, besonders auch Gäste mit Demenz. Unterstützt wird das Projekt von der SAGA GWG Stiftung Nachbarschaft.
Frühling liegt in der Luft. Es ist Anfang März und das Thermometer zeigt 14 Grad – ein Tag wie gemacht für einen Nachmittag mit Frühlingsliedern. Durch die Fenster im Bürgerhaus Wilhelmsburg scheint die Sonne, auf den Tischen stehen Tulpen in zartem Gelb und Rosa. Der Saal füllt sich schon eine halbe Stunde bevor es los geht. Mittendrin ist Musiker Arne Theophil, Typ Seebär: wilde Locken, kräftige Stimme, Schiffermütze auf dem Kopf. Alle nennen ihn nur Arne: „Wie geht’s euch, seid ihr gut durch den Winter gekommen?“, fragt er hier und dort, schüttelt Hände. Und dann greift er zur Gitarre und los geht’s mit „Winter adé“.
„Unser Mitsingnachmittag ist kein klassisches Bühnenprogramm, sondern eine Wunschliederrunde. Ich verstehe mich als Hüter des Moments“, sagt der Musiker. Aus den Textbüchern auf den Tischen können die Gäste ihre Favoriten auswählen und einfach in den Saal rufen, worauf sie Lust haben. Die Lieder sind ausgesucht passend zu den Jahreszeiten. Zur Frühlingsausgabe der Konzertreihe stehen „Tulpen aus Amsterdam“, „Der Mai ist gekommen“ oder „Dat du min Leevsten büst“ hoch im Kurs.
Es gibt Volkslieder und Schlager – Lieder, die die meisten kennen. Viele schauen zum Mitsingen die Texte in den Liedbüchern nach, bei manchem sitzt jede Zeile ganz ohne Textbuch. Zum Mitsingnachmittag sind etwa 80 Leute gekommen, viele davon sind Stammpublikum. Es sind einzelne Gäste dabei oder auch Freundinnen, die sich verabredet haben. Gekommen sind auch Gruppen von den umliegenden Pflegeeinrichtungen, darunter Menschen mit Demenz. „Es gibt hier oft bewegende Begegnungen. Wenn Menschen, die für die Außenwelt nicht mehr erreichbar scheinen, plötzlich anfangen zu singen“, erzählt Arne Theophil. Eine halbe Stunde wird gesungen, dann wird bei Kaffee und Butterkuchen geschwatzt und gelacht bevor wieder gesungen wird.


Ulrike Ritter vom Bürgerhaus Wilhelmsburg.
Konzipiert hat das Programm Ulrike Ritter vom Bürgerhaus Wilhelmsburg: „Wir sprechen bewusst Menschen mit Demenzerkrankungen an. Oft gehen sie ganz beschwingt raus. Vielleicht können sie sich im Anschluss nicht erinnern, wo sie waren, aber das gute Gefühl vom Singen und der Gemeinschaft nehmen sie mit.“ Der Mitsingnachmittag findet einmal im Quartal statt, außerdem gibt’s im Bürgerhaus Wilhelmsburg Tanznachmittage auch für Menschen, deren Erinnerungen mehr und mehr verblassen. Gefördert wird das Projekt von der SAGA GWG Stiftung Nachbarschaft, die sich stark macht für den Zusammenhalt und das Miteinander in den Quartieren.
„Unsere Tagesgäste freuen sich schon seit Tagen auf Arne und sein Konzert“, erzählt Julia Reichert von der Pflegediakonie aus Wilhelmsburg. Mit neun Menschen ist sie ins Bürgerhaus gekommen. Viele freuen sich, hier bekannte Gesichter wiederzutreffen. Einfach mal raus und etwas anderes sehen – darum geht’s hier auch. Zum Abschluss singt Arne Theophil den Gassenhauer „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ von Hans Albers. Es wird geschunkelt, Freundinnen halten sich an den Händen, Paare umarmen sich. Die ehrenamtlichen Helferinnen verteilen die Tulpen, die zuvor auf den Tischen standen, ans Publikum. Und dann geht’s für alle mit Blumen in der Hand und einem Lächeln im Gesicht raus in die laue Frühlingssonne. Bei den meisten sind die nächsten Konzerttermine schon dick angekreuzt im Kalender.

Heute stehen Frühlingslieder auf dem Programm.

Die Mitsingnachmittage im Bürgerhaus sind sehr beliebt.

Musiker Arne Theophil sorgt für gute Stimmung.